Donnerstag, 24. November 2016

Von wegen Winterpause

"Winterpause? Wie kommst du denn da drauf?" fragt die Reitlehrerin. Es gibt einen beleuchteten, überdachten Roundpen, da kann man den ganzen Winter über reiten.

Ja, aber die ganzen Gefahren hat sie wieder nicht im Auge. Dass es nämlich draußen dunkel ist und dass es knackt und windig ist und dass sich das Pferd dann erst recht erschreckt, weil es nicht sieht, woher die Gefahr kommt und dann kann es nicht ausreichend flüchten und ich fall runter und hau mir an der Bande den Kopf ein und kann meine Beine nicht mehr bewegen, das ist erst vor zwei Wochen einem Mädchen passiert, genau hier.

Das sage ich natürlich nicht, aber sie kann meine Gedanken lesen und rollt mit den Augen.

Eigentlich hielt ich mich schon für eine gewiefte Reiterin, mehrmals habe ich das Pferd, ein unerschütterliches Kaltblut mit wenig Bewegungsdrang, mehrmals schon habe ich es zum traben gebracht, ganz allein. Ich machte mir keine allzu großen Sorgen, als sie sagte, im Roundpen würde sie mich an die Longe nehmen, damit ich endlich traben lerne. Ich müsse mich dann nicht ums treiben kümmern, sondern nur ums oben bleiben. 

Ich war ein bisschen beleidigt, denn ich habe ja wohl in den vergangenen Monaten bewiesen, dass ich oben bleibe. 

Na ja. 

Ich bin halt noch nie im Sattel getrabt, wenn sie in der Mitte steht und die Gerte in Richtung Pferdepo hebt. Das Pferd hat plötzlich Schub. Und ich keine Körperspannung. Ich war mir ganz sicher, dass es galoppiert, so schnell war es. Angeblich war es aber nur Arbeitstrab. Sofort rutschte ich aus den Steigbügeln, krallte mich in den Sattel und rief ängstlich "Aufhören, aufhören, anhalten, bitte anhalten!" wie ein grenzdebiler Kartoffelsack. Alles, was ich gelernt hatte, war wie weggeblasen, ich war des Todes.

Ich keuchte, als sie das Pferd endlich anhielt. "Du hast wirklich überhaupt keine Kondition!" schimpfte sie. Kondition, Kondition, jeder atmet schwer, wenn er Panik hat. Das ist eine Voraussetzung für Panik, ganz schlimmes Atmen. Okay, Kondition habe ich auch nicht, aber das tut hier wirklich nichts zur Sache.

"Und gleich noch mal, stell dich tief in die Steigbügel, lehn dich nach hinten, mach dich schwer, sitz es erst mal aus und auf der rechten Vorderhand kommst du dann ins leichttraben. Und mach nicht den Fehler und fall nach vorn."

Und wieder hob sie die Gerte, das Pferd holte sich (wie immer) den nötigen Schwung mit wildem Kopfschlagen und von null auf hundert hetzte es im Kreis. Meine Organe sortierten sich neu, mein Hirn setzte aus, Panik lässt sich also noch steigern. Ich rief "Anhalten!" An leichtraben war nicht zu denken. 

Die Besitzerin kam nun auch in das Roundpen, um die Perdeäppel aufzusammeln, weil Perde immer nach den ersten Schritten äppeln, Bewegung ist halt gut für den Darm. Da bückte sie sich mitten im Weg und ich war schon wieder mit einem Affenzahn unterwegs. Da das Pferd eine engere Beziehung zu seiner Besitzerin als zu mir hat und irgendwie begriff, dass diese Gefahr lief, von der Longe umgerissen zu werden, machte es einen großen Satz nach oben und nach vorn und brachte sie damit aus der Gefahrenzone. Im Grunde vorbildlich.

Ich schrie "Aaaaanhalten, aaaanhalten!", aber die Trainerin hatte die Faxen dicke mit mir und hielt das Pferd nicht an. Mir kamen die Tränen, ich wimmerte "Bitte, bitte, bitte anhalten." 

"Was ist denn los mit dir?"
"Na, es ist doch eben gesprungen und angaloppiert, ich kann das nicht."
"Gesprungen und angaloppiert? So ein Quatsch, es hat nur eine Ausweichbewegung gemacht."
"Wohl ist es gesprungen. Ich will runter. Es reicht für heute."
"Nix da. Du steigst jetzt wieder in die Bügel, bleibst tief sitzen, die Beine fest an den Sattel, aber nicht quetschen, nur fest an den Sattel, hier die Adduktoren im Oberschenkel, die müssen die Arbeit machen, und dann versuch den Rücken anzuspannen, dann kannst du das besser austarieren."

Hallo? Ich habe Adduktoren? Hätte man mir das nicht früher sagen können? Nach all der Zeit werden die gebraucht, sehr dringend sogar, aber das kommt natürlich alles ein bisschen plötzlich.

Sie quälte motivierte mich weiter, "Gib nicht so schnell auf!" und hielt das Pferd einfach nicht an, wenn ich es wollte, einmal sogar zwei Runden lang nicht, ich verlor mein Grundvertrauen, mit dem ich ohnehin nicht üppig ausgestattet bin, das war zuviel für mich und meine Adduktoren. Mein Herz klopfte wie wild, aber ich sah nicht etwa ein weißes Licht, das mich hätte beruhigen können, wie man immer wieder hört; eine gottverdammte Nahtoderfahrung ohne weißes Licht,wer braucht denn sowas?

Ich also immer weiter im angeblich "gemütlichen" Trab und zwar solange, bis ich den Hauch eines Erfolgserlebnisses hatte, was aber nur ein Trick von mir war: eine Runde ohne dieses alberne "Aufhören" zu rufen. Ich hatte nämlich rausgefunden, dass ich so keinen Schritt weiterkomme mit ihr. Ich biss die Zähne zusammen und verkniff mir jeden Laut. Ich geb's nicht gerne zu, aber als ich meine Hysterie tief in meinem Herzen verschloss, ging's tatsächlich besser. 

"So, das machen wir jetzt den ganzen Winter und im Frühling trabst du perfekt." Ich sah auf sie runter und war gottfroh, dass es endlich vorbei war. Da machte es auf einmal draußen ein Geräusch, irgendein Tor fiel zu und das Pferd zuckte am ganzen Körper zusammen, naja, wahrscheinlich war es nur wieder eine Ausweichbewegung. 

Sie weiß noch nicht, dass ich nie wieder komme.

6 Kommentare:

  1. .........was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.....jedenfalls wird es schwierig...und auf jeden Fall bist du im falschen Reitstall gelandet...

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  2. ich bin mir da gar nicht so sicher, ob du nicht vielleicht doch wiederkommst...? (ich finde ja, pferde sind wie große gefährliche frauen, so regimentsführerinnen, aber sie riechen irgendwie gut, von weitem jedenfalls. und sehen gut aus.)

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    1. Na, das ist ja ein Bild;)
      Und klar komme ich wieder....

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  3. test kann ich hier kommentieren??...wenn ja, schreib ich noch mehr.

    gruss jutta (spinatwachtel)

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  4. Hallo, hier is nochmal Jutta (die olle spinatwachtel)

    hab ja jetzt gesehen, dass ich hier kommentieren kann.

    Also, nach dem was ich alles hier bei Dir mittlerweile über "Deine Bemühungen nicht vom Pferd zu fallen" gelesen habe, glaube ich dass Du infiziert bist (vom Pferdevirus)...das Pferd Deiner Freundin/Bekannten ist bestimmt klasse (600 - 700 kg. "Fluchtfleisch" ist ein toller und manchmal auch sehr treffender Ausdruck), die Freundin, die Dich als Anfängerin ihr Pferd reiten, bzw. Dich auf ihm lernen lässt, ist auch prima....die Reitlehrerin....na ja, die mag ja fachlich bestimmt sehr gut sein, aber so das zwischenmenschliche-----oh je,
    Obwohl ich kenne es eigentlich auch nur so....
    Hab`s mit 12 oder 13 Jahren gelernt und immer Pferde und den Umgang mit ihnen geliebt, wollte auch immer reiten (o.k. jeder will reiten können, aber das lernen ist doch manchmal nicht so ganz einfach), aber vor der auch recht ruppigen Reitlehrerin hatte ich auch öfters Angst....
    "Hilfe, ich kann mich nicht mehr halten, ich glaube ich falle gleich runter"..."NEIN, Du fällst NICHT, steng Dich mal richtig an"...oder "ich glaube das Pferd kann mich nicht leiden, dann mag ich da auch nicht drauf sitzen"...der fachliche Kommentar""das ist völlig egal ob es Dich mag oder nicht, Du musst Dich durchsetzen"...bäh, das hab ich gehasst...wer mich nicht mag, dem dränge ich mich nicht auf. ,,,,,
    Ich glaube dass Du das Pferd magst (auch wenn Du ein bisschen Angst hast), dass das Pferd Dich auch mag - doch ganz bestimmt und ich glaube nicht, dass Du da nicht mehr hin gehst (das hätte ich auch vor Deinem Kommentar von Gestern 14.09 h geschrieben).....
    Pferde sind toll und sie riechen gut (da hat der Andreas Glumm schon recht) und wenn man/frau sie mag riechen sie auch noch in der Nähe gut...

    Lass Dich nicht entmutigen, hab Vertrauen in Dich und das Pferd und lass es trotzdem ein bisschen ruhig angehen.....

    Zur Entspannung noch ein Musiktip zum Wochenende - und überhaupt....kennst Du die band "VOLBEAT"?? ich liebe die!
    Falls Du sie kennst braucht man nix grossartig mehr drüber schreiben, falls nicht wirst Du auf youtube fündig (falls es Dich überhaupt interessiert).....die sind am 29. Oktober in Berlin in der Mercedes-Benz-Arena aufgetreten....
    Und ich ("Baujahr" 1959) habe mir nach mehr als 36 Jahren! mal wieder eine Konzertkarte gekauft und bin am 12. November nach Leipzig gefahren (250 km) auf`s Konzert und es war soooo schön, so viel spass. Das werde ich bei nächster Gelegenheit wiederholen und hoffe, dass ich nicht länger als 1 Jahr warten muss, vielleicht aber auch 2 oder 3....auf alle Fälle freue ich mich JETZT schon darauf.

    So jetzt hab ich aber wirklich viel geschrieben....internet is schon was dolles...ich sitze hier in meinem 350-Seelen-"Kuhkaff", das ich aber sehr mag - das ruhige Landleben - und schreibe einer fremden Frau in Berlin über Pferde und Reiten und tolle Musik (also quasi alles was Spass macht)....

    Lass Dich nicht von Deiner Angst beherrschen - im Umgang mit dem Pferd und vor allem der Frau Reitlehrerin - und immer wieder rauf aufs Pferd und (evtl.) viel Spass beim Musik hören.

    Sorry für viel text...ich kann keine kurzen Kommentare - ich schreib` entweder nix oder einen Roman.

    Schöne Grüsse aus Unterfranken (Bayern) nach Berlin.

    Jutta (spinatwachtel)

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    1. ".die Reitlehrerin....na ja, die mag ja fachlich bestimmt sehr gut sein, aber so das zwischenmenschliche-----oh je,"
      Nein, sie ist wirklich klasse. Ich übertreibe, ist mein Stilmittel.
      "ich glaube das Pferd kann mich nicht leiden, dann mag ich da auch nicht drauf sitzen"...der fachliche Kommentar""das ist völlig egal ob es Dich mag oder nicht, Du musst Dich durchsetzen".
      Aber da hatte sie recht.
      Und ganz ehrlich: ich bin der festen Überzeugung, dass Pferde uns nicht "mögen". Menschen mögen zwar Pferde, aber umgekehrt... Es sind domestizierte Tiere, die in streng hierarchischen Gruppen leben, und dazu verdammt sind, Menschen auf ihrem Rücken zu tragen. Da darf man nicht allzuviel hineingeheimnisen.

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